Warum unbescholtene Bürger das kaputte und korrupte System nicht verstehen (wollen)

Veröffentlicht am 24. Juni 2024 um 20:18

In unserer modernen Gesellschaft sind Begriffe wie Korruption, Vetternwirtschaft und systemische Ungerechtigkeit allgegenwärtig. Trotz der offensichtlichen Probleme in vielen politischen und wirtschaftlichen Systemen gibt es eine signifikante Anzahl von Bürgern, die diese Missstände nicht erkennen oder gar verstehen wollen. Dieser Artikel untersucht die Gründe für diese Haltung und stützt sich dabei auf wissenschaftliche Quellen und Theorien.

Kognitive Dissonanz und Selbstschutz

Ein wichtiger psychologischer Mechanismus, der eine Rolle spielt, ist die kognitive Dissonanz. Leon Festinger, ein amerikanischer Sozialpsychologe, definierte kognitive Dissonanz als den mentalen Stress oder Unbehagen, den eine Person erfährt, wenn sie zwei oder mehr widersprüchliche Überzeugungen, Ideen oder Werte gleichzeitig hält. Bürger, die an das Gute und Gerechte in ihrem System glauben, empfinden großen Stress, wenn sie mit der Realität der Korruption konfrontiert werden. Um diesen Stress zu minimieren, neigen sie dazu, die Beweise für Korruption zu ignorieren oder abzulehnen .

Soziale Identität und Gruppenzugehörigkeit

Die Theorie der sozialen Identität, entwickelt von Henri Tajfel und John Turner, betont die Bedeutung von Gruppenzugehörigkeit für das Selbstverständnis einer Person. Menschen identifizieren sich stark mit ihren sozialen Gruppen, seien es politische Parteien, Unternehmen oder religiöse Gemeinschaften. Eine Bedrohung der Integrität dieser Gruppen wird als Bedrohung der eigenen Identität wahrgenommen. Daher sind viele Bürger geneigt, negative Informationen über ihre Gruppen zu ignorieren oder zu relativieren, um ihr eigenes Selbstwertgefühl zu schützen .

Informationsverzerrung und Medienkonsum

Ein weiterer Faktor ist die Verzerrung der Informationen, die Bürger konsumieren. Durch die zunehmende Fragmentierung der Medienlandschaft wählen viele Menschen Nachrichtenquellen, die ihre bestehenden Überzeugungen bestätigen. Diese sogenannte Bestätigungsverzerrung führt dazu, dass sie selektiv Informationen aufnehmen und verarbeiten, die ihre Sichtweise stützen, während widersprüchliche Informationen abgelehnt werden. Dies wird durch Studien gestützt, die zeigen, dass Menschen dazu neigen, in Informationsblasen oder Echo-Kammern zu leben, wo sie hauptsächlich mit gleichgesinnten Meinungen konfrontiert werden .

System-Rechtfertigungstheorie

Die System-Rechtfertigungstheorie, entwickelt von John Jost und Mahzarin Banaji, schlägt vor, dass Menschen ein starkes Bedürfnis haben, das bestehende System als gerecht und legitim wahrzunehmen, selbst wenn es offensichtlich fehlerhaft ist. Dies geschieht, um das Bedürfnis nach Sicherheit und Ordnung zu befriedigen. Laut dieser Theorie neigen Menschen dazu, bestehende soziale, wirtschaftliche und politische Strukturen zu verteidigen, weil sie glauben, dass diese Strukturen notwendig sind, um Stabilität zu gewährleisten .

Mangelnde politische Bildung und Komplexität der Systeme

Oft fehlt es den Bürgern an der notwendigen politischen Bildung, um die komplexen Mechanismen von Korruption und Missmanagement zu verstehen. Politische Systeme sind oft hochkomplex und undurchsichtig, was es dem durchschnittlichen Bürger erschwert, die volle Tragweite von Fehlverhalten und Korruption zu erfassen. Bildungsprogramme, die kritisches Denken und politisches Bewusstsein fördern, sind entscheidend, um dieser Wissenslücke entgegenzuwirken .

Fazit

Das Unverständnis oder die Weigerung unbescholtener Bürger, die Korruption und das kaputte System zu erkennen, ist ein vielschichtiges Phänomen. Es wird von psychologischen Mechanismen wie kognitiver Dissonanz und der System-Rechtfertigungstheorie, sozialen Faktoren wie Gruppenzugehörigkeit und Informationsverzerrung sowie einem Mangel an politischer Bildung beeinflusst. Ein tieferes Verständnis dieser Faktoren kann dazu beitragen, Strategien zu entwickeln, um das Bewusstsein und das Engagement der Bürger zu fördern.

Quellen

1. Festinger, L. (1957). **A Theory of Cognitive Dissonance.** Stanford University Press.
2. Tajfel, H., & Turner, J. C. (1979). **An Integrative Theory of Intergroup Conflict.** In W. G. Austin & S. Worchel (Eds.), The Social Psychology of Intergroup Relations. Brooks/Cole.
3. Stroud, N. J. (2010). **Polarization and Partisan Selective Exposure.** Journal of Communication, 60(3), 556-576.
4. Sunstein, C. R. (2001). **Echo Chambers: Bush v. Gore, Impeachment, and Beyond.** Princeton University Press.
5. Jost, J. T., & Banaji, M. R. (1994). **The Role of Stereotyping in System-Justification and the Production of False Consciousness.** British Journal of Social Psychology, 33(1), 1-27.
6. Delli Carpini, M. X., & Keeter, S. (1996). **What Americans Know about Politics and Why It Matters.** Yale University Press.

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